In den letzten Tagen des Novembers öffnete das Museum Großauheim zum letzten Mal seine Ausstellungsräume, um Schulklassen den Besuch der Sonderausstellung ¿Angeworben-Angekommen? zu ermöglichen. Im Januar folgt nun der Abbau der Installationen. Die Ausstellung, die in Kooperation mit den Hanauer Museen gestaltet wurde, beleuchtete erstmalig die Geschichte der sog. Gastarbeiter, die in den frühen 60er Jahren nach Großauheim und Umgebung kamen und stellte diese in den Gesamtkomplex der Arbeitsmigration in die junge Bundesrepublik, die durch das starke Wirtschaftswachstum der 50er Jahre ausgelöst wurde.
Allein die Ausstellung in Großauheim hatten bis Dezember 2023 weit über 3000 Gäste besucht. Zahlreiche Besucher konnten in den kommenden 12 Monaten in Großauheim – und von Januar 2024 bis Ende April 2024 zusätzlich im Instituto Cervantes im Frankfurter Westend – begrüßt werden. Am letzten Tag nahmen über 80 Schülerinnen und Schüler die Gelegenheit wahr, mit ihren Lehrerinnen und Lehrern die Ausstellung zu besuchen. Neben Schülerinnen und Schülern der Lindenauschule besuchten auch Lernende anderer Schulen und Bildungseinrichtungen die Sonderausstellung: Darunter Schülerinnen und Schüler des muttersprachlichen Spanischunterrichts für MKK und Frankfurt mit ihrer spanischen Lehrkraft und zahleichen Eltern sowie Großeltern der Lernenden. Ebenso konnten Studierende Frankfurter Hochschulen in Begleitung ihrer Professorinnen und Professoren als Gäste in der Großauheimer Ausstellung begrüßt werden. Martina Droste, Direktorin für junges Theater im Schauspielhaus Frankfurt, reiste aus Frankfurt an, um die Ausstellung als Inspirationsquelle für eigene Theaterprojekte zu nutzen. Über zwei Stunden nahm sie sich für das Studium der von den Schülerinnen und Schüler geführten Interviews Zeit und machte sich begleitend zahlreiche Notizen. Für die geleistete Arbeit sprach die Theaterdirektorin den Schülerinnen und Schülern der Lindenauschule ein großes Lob aus.
Als Vertreter ihrer Länder besichtigten die Generalkonsuln von Spanien (Ausstellung im Instituto Cervantes Frankfurt) und Italien die Ausstellung. Der Besuch des italienischen Generalkonsuls fand gemeinsam mit dem Oberbürgermeister der Stadt Hanau, Claus Kaminsky, statt.
Die Arbeitsmigranten der ersten Phase der Einwanderung nach Großauheim stammten fast ausschließlich aus Spanien und Italien. Darüber hinaus war die in Großauheim angesiedelte Firma Brown Boveri & Cie deutschlandweit das erste Unternehmen, das nach dem deutsch-spanischen Arbeitskommen ein Kontingent spanischer Arbeitsmigranten unter Vertrag nahm – aus diesem Grund legt die Ausstellung den Fokus auf die spanische und italienische Migration.
Zahlreiche weitere Projekte wurden durch das Projekt inspiriert und initiiert: Angeleitet von Dokumentarfilmer und Theaterregisseur Sascha Schmidt haben Studierende für Kultur in der sozialen Arbeit an der Frankfurt University of Applied Sciences aus Biografien spanischer Migrantinnen und Migranten eine dokumentarische Theaterinszenierung geschaffen. In Vorbereitung der Aufführung hatten die Studierenden mit ihrer Professorin Ulrike Pfeifer und Regisseur Sascha Schmidt die Ausstellung in Großauheim besucht. Die Aufführung fand am 27. Januar 2024 – einem Samstagabend – vor hunderten Gästen im Instituto Cervantes Frankfurt statt.
Am 9. Juni 2023 wurde im Museum Großauheim die Übersetzung des Buches Barraca 5, Habitación 11 von Antonio Cantero Galisteo präsentiert. Im Buch beschreibt das lyrische Ich die Erlebnisse der ehemaligen spanischen Arbeitsmigranten, die zu Beginn der 60er Jahre nach Deutschland kamen, um in der elektrotechnischen Fabrik Brown Boveri & Cie (heute ABB) in Hanau-Großauheim zu arbeiten. Dem Autor ist in der Ausstellung ein eigener Bereich gewidmet. Sein Buch bildete eine wichtige Quelle für die Erforschung der Arbeitsmigration nach Großauheim und Hanau. Der überwiegende Teil des Buches wurde von zwei Spanischkursen der VHS Hanau ins Deutsche übersetzt. Anlässlich der Veröffentlichung reisten die spanischen Familienangehörigen des bereits verstorbenen Autors nach Großauheim und wohnten den Feierlichkeiten der Buchpräsentation im Museum am Pfortenwingert bei.
Da in den kommenden Jahren eine sowohl analoge als auch digitale Quellenedition zum Thema „Arbeitsmigration in Hessen nach 1945“ geplant ist , besuchten am 30. August 2023 der Historiker Dr. Wilfried Rudloff und Maximilian Hammer vom Hessischen Institut für Landesgeschichte die Schülerausstellung „¿Angeworben-Angekommen?“ im Museum Großauheim. Im Rahmen eines Workshops im Hessischen Landesarchiv hatte das Kuratorenteam (Dr. Victoria Asschenfeldt, Wolfgang Hombach und Sebastian Saliger) den anwesenden Geschichtswissenschaftlern bereits einen Eindruck von Konzeption und Realisierung der Ausstellung vermittelt. Dr. Wilfried Rudloff und Maximilian Hammer reisten im August nach Großauheim, um sich ein genaueres Bild von der gemeinsamen Ausstellung der Lindenauschule mit den Hanauer Museen zu machen. Im Besonderen diente der Besuch, um Material zu sichten, das geeignet ist, die geplante analoge und digitale Quellenedition für die Region Hanau zu ergänzen.
Im Rahmen des Projektes Europa macht Schule -ein Programm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes – fand im Frühjahr 2024 ein gemeinsamer Workshop mit einem Grundkurs Geschichte der Jahrgangsstufe 12 und einer italienischen Studentin statt, die in Frankfurt die Ausstellung besucht hatte. Gemeinsam mit den Lernenden beleuchtete Mariella Scalera aktuelle Migrationsbewegungen nach Spanien und Italien.
Ende des Jahres 2024 wurde ein gemeinsames Seminar zum Thema „Gastarbeit“ mit internationalen Studierenden der Hochschule für Bildende Künste–Städelschule gestaltet, in Rahmen dessen die Ausstellung der Lindenauschule vom Kurator der Ausstellung – Sebastian Saliger – präsentiert wurde.
Neben den zahlreichen Besucherinnen und Besuchern, die den Weg nach Großauheim fanden, zeigte die Resonanz in Presse und Medien die Relevanz des Themas auf: So berichtete ausführlich die überregionale spanische und deutsche Presse von der Ausstellung. Der spanischen Radiosender RTVE – die größte spanische Rundfunkanstalt – als auch Radio Nacional de España thematisierten das Ausstellungsprojekt und präsentierten Aussagen von Schülerinnen und Schülern zur Mitarbeit an dem Projekt in der Sendung.
Auch zeugen die zahlreichen – und vielsprachigen – Kommentare in dem Gästebuch der Ausstellung vom positiven Echo des Projektes. So schrieb ein Gast: „Eine schöne Ausstellung. Schön, wenn im örtlichen Museum Menschen aus dem Ort die Chance erhalten, von ihrer Geschichte zu erzählen. Eine echte Bereicherung! Ein Dank an die Aussteller und vor allem an die Lindenauschule!“
Eine andere Besucherin bemerkte: „Total klasse! Wunderbar! Und gerade in diesen Zeiten ein so wichtiges Thema. Schade, dass die Ausstellung nicht zur Dauerausstellung wird. Da müsste sich doch hier in Großauheim eine Örtlichkeit finden lassen.“
Ein spanischer Gast resümierte kürzer: „Fantástica exposición. Gracias y felicidades.“
Die Lindenauschule bedankt sich bei den zahlreichen Gästen der Ausstellung, allen Förderern und Unterstützern – und allen voran bei den Schülerinnen und Schülern der Lindenauschule, die an dem Projekt mitgewirkt und die Ausstellung und ihre Folgeprojekte überhaupt erst möglich gemacht haben.
Sebastian Saliger