Kurz vor dem früheren Tag der Deutschen Einheit am 17. Juni – dem Gedenktag an den Volksaufstand in der DDR im Jahr 1953 – besuchte der Zeitzeuge Rolf Leipold die Lindenauschule in Hanau-Großauheim. Dort sprach er mit den Politik- und Geschichtskursen der Jahrgangsstufe 10 über seine persönlichen Erfahrungen in der DDR.
„Das Leben in der sogenannten ¢Deutschen Demokratischen Republik¢ war alles andere als demokratisch“, erklärte Leipold gleich zu Beginn seines Vortrags. Er lebte und arbeitete mit seiner Familie 33 Jahre lang in Thüringen, im damaligen Ostdeutschland. 1984 stellte er einen Ausreiseantrag – für ihn ein endgültiger Bruch mit dem politischen System der DDR, das er als diktatorisch empfand. Kurz vor dem Mauerfall wurde er ausgebürgert.
In seinem rund zweistündigen Vortrag spannte Leipold einen Bogen von den Anfängen des Mauerbaus und der innerdeutschen Grenze bis hin zum Alltag in der DDR. Besonders eindrucksvoll schilderte er persönliche Erlebnisse, etwa zur Lebensmittelknappheit, dem ständigen „Schlange stehen“ oder den stark eingeschränkten Reisemöglichkeiten. „Freies Reisen und Meinungsfreiheit sind keine Selbstverständlichkeit – sie sind ein hohes demokratisches Gut, für das ihr dankbar sein solltet“, appellierte er eindringlich an die Schülerinnen und Schüler.
Leipold verschwieg jedoch auch nicht die positiven Aspekte des damaligen Systems: So seien die medizinische Versorgung sowie die Kinderbetreuung gut organisiert gewesen, und der gesellschaftliche Zusammenhalt habe in vielen Bereichen stärker gewirkt als heute. Dennoch überwogen für ihn die negativen Erfahrungen. Die ideologische Indoktrination – insbesondere bei Kindern – sowie die allgegenwärtige Überwachung und Bespitzelung durch den Staat machten das Leben für ihn unerträglich.
Seine Ausreise wurde schließlich durch die Bundesrepublik Deutschland erkauft – für 40.000 D-Mark. „Moderne Form des Menschenhandels“, nannte Leipold dieses System, bei dem die DDR an der Ausbürgerung eigener Bürger finanziell profitierte.
Rolf Leipold ist aktives Mitglied im Sozialverband VdK Hessen-Thüringen, der eine enge Kooperation mit der Lindenauschule pflegt. In seiner Funktion engagiert er sich für die historische Aufarbeitung der deutsch-deutschen Vergangenheit und sucht gezielt den Dialog mit jungen Menschen in Schulen.
Zum Abschluss betonte Leipold: „Ein Leben in Freiheit und mit demokratischen Werten ist eines der höchsten Güter, für das wir jeden Tag dankbar sein sollten.“
Die Schülerinnen und Schüler verabschiedeten sich nach zahlreichen interessierten Nachfragen beeindruckt von einem bewegenden Zeitzeugenbericht, der ihnen einen authentischen Einblick in ein Leben hinter der Mauer gab.
Steffen Schleicher